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IBAES 19
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Ägypten begreifen
Erika Endesfelder in memoriam
 
Die Festschriften sind immer ein freudiger Anlass, einem Jubilar ein besonderes Geschenk zu machen. Freunde und Kollegen nutzen die Gelegenheit, ihre Wertschätzung und Anerkennung für die Lebensleistung des Jubilars zum Ausdruck zu bringen, indem sie die eine oder andere unveröffentlichte Arbeit zur Publikation beisteuern, die idealerweise auch noch mit dem Hauptforschungsgegenstand des Jubilars aufs engste verknüpft ist. Hält man den Band dann in der Hand, hat man im wahrsten Sinne des Wortes ein besonderes Geschenk, das nicht vielen zuteil wird. Die Überreichung im Rahmen einer kleinen Feierlichkeit bleibt allen Teilnehmern und besonders dem Jubilar für immer im Gedächtnis.
So oder ähnlich hatten es auch die Herausgeber der vorliegenden Schrift geplant. Insgeheim hatte sich jeder schon auf die Übergabe gefreut, die um den 80. Geburtstag von Erika Endesfelder herum stattfinden würde. Die Übergabe wäre für viele der Autoren, deren Namen wir hier im Inhaltsverzeichnis finden, gleichzeitig ein herbeigesehntes Wiedersehen nach langer Zeit gewesen. Umso mehr traf alle die Nachricht vom Tode der Adressatin dieser Festschrift mitten in der Phase ihrer Entstehung. Die Herausgeber, nachdem sie sich vom Schock der Nachricht erholt hatten, haben sich dennoch entschieden, das Projekt fortzusetzen und aus der geplanten Festschrift eine Gedenkschrift zu machen.
Erika Endesfelder war für ihre Schülerinnen und Schüler vor allem eines: Lehrerin. Und niemals ließ sie auch nur den Hauch eines Zweifels daran aufkommen, dass sie darin ihre eigentliche Lebensaufgabe sah. Die Vermittlung von Wissen und das für den Lernenden so wichtige zielstrebige Durchziehen eines anspruchsvollen Kurrikulums sah sie niemals als lästige Pflicht einer Universitätsprofessorin an, sondern als freudige Kür, durch die sie die Lernenden zu fleißigen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formen konnte. Sie sparte nicht mit Anerkennung für Leistung jenseits von Zensuren und Beurteilungen und vermochte es dadurch, den Lernenden „bei der Stange“ zu halten. Der Leistungsschwächere konnte immer sicher sein, dass Erika Endesfelder ihn nicht hängen lassen würde. Dennoch hat sie immer engagierten Einsatz und Leistungswillen verlangt.
Für ihre Kollegen war Erika Endesfelder vor allem Gesellschaftswissenschaftlerin, die die Entwicklung der ägyptischen Gesellschaft anhand der vorhandenen Zeugnisse nachzuzeichnen verstand. Nicht selten verblüffte sie die Zuhörer bei Vorträgen, wenn sie nach der Besprechung einer Gruppe von Befunden aus ihnen plötzlich viel weitreichendere Schlussfolgerungen ableitete und diese mit den Befunden selbst untermauerte – so wurde man, ein ums andere Mal, Zeuge von Wissenschaft im eigentlichen Wortsinn. Beeindruckt zog man den Hut vor ihr, stellte dann aber in der Pause beim Smalltalk fest, dass man es dennoch mit einem ganz normalen Menschen ohne Allüren zu tun hatte.
Erika Endesfelders Anliegen war es, das Alte Ägypten und die altägyptische Gesellschaft im tiefsten Inneren zu verstehen und zu begreifen. Dies gelang ihr, wie kaum jemand anderem, und durchzog ihre Lehre wie ein roter Faden. Ihren Studierenden zeigte sie die Bewohner des Nilufers immer gerne von ihrer menschlichen Seite. Einer ihrer Leitsprüche, an den sich sicherlich alle ihrer Schülerinnen und Schüler erinnern und der sie stets wieder darauf hinwies, war: „Denken Sie daran, es waren zwar die alten Ägypter, aber nicht die dummen Ägypter“.
Eine unumstrittene Persönlichkeit war Erika Endesfelder jedoch nicht. Die bewegten Zeiten, in denen sie den Lehrstuhl an der Humboldt-Universität innehatte, führten zu vielen Entscheidungen administrativer Art, die von einigen Weggefährten nicht verstanden oder mitgetragen werden konnten. Die Herausgeber vermissen schmerzlich gerade Aufsätze dieser Kollegen, denn ihre Arbeiten hätten das Bild von der Persönlichkeit Erika Endesfelders abrunden können und ein deutliches Bild der Zustände vor und nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zeichnen können. Gerade für die Zeit vor der Wiedervereinigung wäre das für die Wissenschaftsgeschichte der deutschen Ägyptologie wichtig gewesen, denn die Zeugen für diese Zeit werden langsam knapp. Wissenschaftshistorikern bleibt nun nur der Weg ins Archiv der Universitätsbibliothek der Humboldt- Universität zu Berlin, das den gesamten schriftlichen Nachlass übernommen hat.
Andererseits hatte das Ringen um den Erhalt des Lehrbereiches, seit 1993 Seminar für Sudanarchäologie und Ägyptologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, gewiss auch bei Erika Endesfelder Spuren hinterlassen. Es begann damit, dass sie und ihr Kollege Steffen Wenig sich auf die Stellen, die sie ja eigentlich innehatten, noch einmal bewerben mussten. Sie beVorwort - viii - mühte sich nach Kräften, den Herausforderungen einer nicht nur für sie neuen Zeit zu begegnen und das gewohnte Niveau ihrer Lehre, nun mit viel mehr Studenten als gewohnt aus ganz Deutschland und dem Ausland, beizubehalten. Das Damoklesschwert der Streichung des Lehrbereiches schwebte über ihr, solange Erika Endesfelder im Amt war, und es mussten zwei Umzüge, am Ende sogar an die Peripherie der Stadt, überstanden werden. Die Befürchtung, die letzte Inhaberin des für – den von ihr sehr geschätzten – Richard Lepsius eingerichteten Lehrstuhls für Ägyptologie an der Humboldt-Universität zu sein, war für sie allgegenwärtig.
Nachdem sie im Jahre 2000 in den Ruhestand gegangen war, konnten ihre und die Stelle ihres Kollegen Steffen Wenig zwar wieder ausgeschrieben werden, aber die nun folgende Transformation veränderte das Lehr- und Forschungsprofil des Seminars einschneidend. Es entstand ein Lehrbereich „Archäologie und Kulturgeschichte Nordostafrikas“ innerhalb eines „Instituts für Archäologie“ (zusammen mit dem Lehrbereich Klassische Archäologie), der auch dem in der Ausschreibung beschriebenen Profil der Stellen nach ganz bzw. hauptsächlich auf die archäologische Forschung konzentriert sein sollte. Die Art und Weise der Besetzung der Stellen mit für diesen Profilbereich eigentlich nicht ausgewiesenen Wissenschaftlern, machte Erika Endesfelder deutlich, dass auch ihr ehemaliges Institut im akademischen Wettbewerb um die Besetzungshoheit von Stellen, vor allem von Professuren, angekommen und zum Spielball geworden war. Die Sorge um die Ausbildung von Studenten, die ihr immer Hauptanliegen war, trat weit hinter die Profilierungszwänge der Stelleninhaber zurück. Über viele Jahre stellte sie sich unentgeltlich als Lehrbeauftrage in den Dienst der Ausbildung, aber sie musste zum Ende ihres akademischen Lebens erfahren, dass der Respekt vor ihrer Lebensleistung und ihrem Engagement in der Lehre als Rentnerin nicht selbstverständlich in einem System sind, das sich allein an plakativen Ergebnissen quantifizierter Vorzeigepublizistik und unakademisch maßloser Selbstdarstellung ergötzt.
Nun ist es gewiss keine leichte Aufgabe, Aufsätze zu schreiben, die im Rahmen einer Gedenkschrift die Leidenschaften und das Wirken von Erika Endesfelder besonders würdigen. Die Entstehung und Entwicklung des ägyptischen Staates auf der einen Seite ist eine recht komplizierte Materie, an die sich kaum jemand herantraut. Und die Leidenschaft zur Lehre auf der anderen Seite ist ja schwierig in einem wissenschaftlichen Artikel zu fassen. So berühren die hier vorgelegten Artikel nicht immer direkt das Werk und Wirken von Erika Endesfelder, sind aber dennoch immer Ausdruck der Wertschätzung für den Menschen und Wissenschaftler, der hier geehrt wird, und zugleich ein weiteres Puzzle-Stück im Gesamtbild des alten Ägypten und damit ein Beitrag zur aktuellen Forschung. Zu jedem der Artikel hätte Erika Endesfelder im Rahmen eines Kolloquiums eine qualifizierte Meinung abgeben können, die den Vortragenden in seinem eigenen Verständnis der Materie weiter gebracht hätte.
Wenngleich die Herausgeber von mancher Seite mit einem viel größeren Echo gerade unter den Schülern und ehemaligen Mitarbeitern von Erika Endesfelder gerechnet hätten, so danken sie den teilnehmenden Autoren herzlich für ihre Mühe und wünschen allen Lesern eine spannende Lektüre.
Florian Steinborn
Gunnar Sperveslage
Frank Feder